Montag, 17. September 2012

My Home is my Castle

Ich lebe in einer Großstadt. Und Großstädte sind Anonym.
Doch in dem Ortsteil wo ich wohne, da lebt man vielfach noch wie in einem Dorf.
Es ist meine Heimatgemeinde. Hier bin ich geboren, groß geworden, die ersten Jahre zur Schule gegangen und einige Jahre nach meinem Fortgang wieder zurück gekehrt.
Man kennt sich. Wenn nicht mit Namen, dann doch wenigstens vom Sehen her. Jeden Morgen die gleichen Gesichter im Bus, beim Bäcker, vor der Schule, im Supermarkt, ect.  Einige  alte Leute kennen mich sogar noch aus meinen Kindertagen.

Man kennt mich lächelnd und gut gelaunt. Selbst am frühen Morgen jeden freundlich grüßend. Stets aufmerksam gegenüber Mitmenschen. Hoffnungsvoll den Tag beginnend.
Mit Schwung in den Bus rein, stets dem Busfahrer ein fröhliches "Guten Morgen" wünschend. Beim Bäcker "einen schönen Tag noch". Zeit für einen kurzen Plausch unter Nachbarn bleibt auch meistens.

Mir geht es nicht gut, in den letzten Wochen.
Ich bin verzweifelt. Traurig. Manchmal auch mit der Gesamtsituation überfordert. Der Alltag fällt mir schwer. So manch ein "Freund" macht es mir mit seiner Meinung zu unseren auf den Kopf gestellten Lebensumständen, oder seinem Verhalten uns gegenüber,  auch nicht gerade leichter.
Die Farbe ist aus meinem Gesicht gewichen, die Haare sind irgendwie zusammen geknotet, und mein Gewichtsverlust der letzten Wochen lässt sich kaum länger verbergen. Plötzlich übersehe ich bekannte Gesichter, weil ich tief in Gedanken versunken bin. Im Bus bringe ich nur noch ein mühevoll gestammeltes "Morgen" über die Lippen.

Hat man mal einen schlechten Tag wird das kaum beachtet. Hat doch jeder mal.
Verfällt ein einst fröhlicher und positiv gestimmer Mensch aber dauerhaft in eine Stimmung, als würde er sich selbst zu Grabe tragen, beginnen die Menschen sich Sorgen zu machen. "Tschuldigung, aber, ist alles in Ordnung bei Ihnen? Ist was schlimmes passiert?" werde ich plötzlich angesprochen. Beim Bäcker, vor der Schule, im Supermarkt, und sogar vom Busfahrer. Tränen steigen dann in mir auf und ich kämpfe um meine Selbstbeherrschung. Wie soll ich diese Frage nur beantworten ohne medizinisch ganz weit aus holen zu müssen? Ohne daß meine Verzweiflung schon wieder übermächtig wird.

Fast alle sind schockiert. Betroffen. Und die Anteilnahme ist echt.
Man wünscht mir/uns alles Gute. Oder gute Besserung für den Gatten. Aber ihren Glauben daran, daß alles schon irgenwie wieder gut werden wird, den kann ich nicht teilen.
"Sieh es positiv" meinte eine Freundin neulich zu mir. "Du wirst wahr genommen und man macht sich Sorgen um Dich." Doch mir ist das gerade alles ein wenig zu viel. Jedes Gespräch ein Scheffelchen mehr an Last die ich zu (er)tragen habe.

Die Kinder gehen jetzt alleine zur Schule und kommen Mittags alleine heim. Den Bäcker und den Supermarkt meide ich. Für Kleinigkeiten schicke ich die Kinder, welche diese Aufgabe derzeit mit Freude und Stolz erfüllt. Für alles andere fahre ich weiter weg, wo man mich nicht so gut kennt, und mich nicht an spricht. Und im Bus sitze ich nun immer ganz weit hinten, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, so daß ich leichter übersehen werde.
Ohne guten Grund trete ich nicht mehr vor die Türe. Mit dem Wunsch nach Ruhe beginne mich daheim ein zu graben.

My Home is my Castle!