Samstag, 8. September 2018

Wenn Sehnsucht schmerzt........

Es gibt Dinge, an die kann ich mich einfach nie gewöhnen!
Den Gatten zu einer OP in die Klinik bringen zum Beispiel. Und auch, den Gatten in die danach anstehende Reha zu schicken.

Drei mal haben wir dies nun seit der Erstdiagnose 2012 hinter uns gebracht.
Man bekommt zwar eine gewisse Übung, hat Erfahrung und weiß dann wie es so läuft. Doch der Schmerz den diese unfreiwilligen Trennungen verursachen ist jedes mal der gleiche.

Die ersten drei Wochen bekomme ich immer noch vergleichsweise schnell herum.
Ich suche mir Aufgaben, und versuche mich beschäftigt zu halten.
In der ersten Woche bin ich jedes mal froh den Gatten nicht mehr beaufsichtigen und begleiten zu müssen. Seine Erkrankung geht ja leider mit massiven Lähmungen einher, was für uns/mich echt anstrengend sein kann.
In der zweiten Woche war ich mit dem Fast-Teenager in Hamburg. Und wir hatten eine wirklich wundervolle Zeit dort. Nur das Hostel war leider ein Reinfall.
In der dritten Woche habe ich mich der Herausforderung gestellt, und bei über 35°C Hitze die Wohnung vom Freund des Teenagers renoviert damit dieser möglichst schnell dort ein ziehen konnte.
Wer keine Zeit zum Nachdenken hat, fühlt sich auch nicht so verdammt einsam.

In der vierten Woche setzt bei mir immer die Sehnsucht ein, und ich beginne selbst jene Dinge zu vermissen die mich sonst im Alltag eher Nerven kosten.
Die Kaffeeflecken in der Küche zum Beispiel. Oder das unvermeidliche Kabelwirrwarr neben des Gatten Sessel. Die stehen gelassene Kaffeetasse im Wohnzimmer. Das nächtliche Schnarchen. Dinge die unweigerlich zum Gatten gehören, und welche die Existenz eines  Partners überhaupt erst spür- und sichtbar werden lassen.
Und mitten in diese Sehnsucht, das sich einsam und verlassen fühlen, knallt dann noch die Nachricht dass die Reha um zwei Wochen verlängert wird. Außerdem wird so langsam klar, dass der Gatte jetzt bestenfalls dauerhaft eine Gehhilfe in Form eines Rollators benötigt.

Sechs lange Wochen Trennung für mich.
Komplette Sommerferien ohne Vater für die Jungs.
Zu dem seelischen Schmerz gesellen sich schnell die alt bekannten Sorgen.
Job? Wohnung? Zukunft?
Was wird nötig, damit der Gatte im Alltag möglichst selbständig zurecht kommt?
Und dann sind da noch diese wirklich unschönen Gedanken über Schicksal und dergleichen, mit denen man irgendwie fertig werden muss.

Der Gatte war vor der OP fit und gesund wie nie zuvor seit der Erstdiagnose.
Nun sind seine Lähmungen schlimmer und ausgeprägter als je zuvor!
Der Verstand weiß zwar, dass es ohne die letzte OP unweigerlich wieder zu einer drastischen Verschlechterung gekommen wäre. Und wenn man ganz knallhart ehrlich ist, waren die ersten Anzeichen dafür bereits seit Jahresbeginn zu beobachten. Wenn auch nur sehr langsam und sehr schleichend.
Aber das was das Bewusstsein sieht ist: Fit und Gesund in die OP hinein, und kaputt und gelähmt aus der Klinik heraus. Worte wie Kaputt operiert geistern durchs Oberstübchen. Was wirklich unfair gegenüber dem Arzt ist, weil dieser sein bestes gegeben hat und bis an seine Grenzen gegangen ist.

Die Frage nach dem Warum? und Wieso wir? ist plötzlich wieder im Bewusstsein. Und es zieht mich hinunter in die Dunkelheit.
Ich ertrage es kaum noch unter Menschen zu gehen. Das allgegenwärtige Gemecker, über das Wetter, den Staat, die Ausländer, ect. dessen man unweigerlich in Bus Bahn und Supermarkt Ohrenzeuge werden muss, sind einfach zu viel für mich. Ey, Leute, ihr seit gesund, könnt laufen und euch bewegen, also seit mal gefälligst ein bisschen dankbar für eurer geiles Leben!

Was mich dieses mal auch tierisch nervt ist der Eindruck, dass viele Leute scheinbar glauben eine medizinische Reha wäre so etwas wie Urlaub oder eine Kur.
Mitnichten ist es das. Der Gatte stand jeden Tag um 6 Uhr früh auf, Frühstück gab es um 7 Uhr. Spätestens gegen 8 Uhr starten die ersten Therapien, diese ziehen sich über den ganzen Tag bis manchmal in den Abend hinein. Physio, Reha Sport, Lauftrainig, Untersuchungen, Gesundheitsvorträge, ect. Jeden Tag! Sechs lange Wochen! Mit Erholung hat das nichts tun, sondern mit viel harter Arbeit um wieder auf die Beine zu kommen.
Ebenso wird oftmals übersehen, dass auch wir als daheim gebliebene Familie unser Scheffelchen zu tragen haben.
 So oft werden wir dafür bewundert, dass unsere Jungs so enorm Selbständig, Mitfühlend und grenzenlos Hilfsbereit sind. Dass sich diese Eigenschaften aber oft erst durch ein gewisses Schicksal und der Erfahrung von Leid und Schmerz entwickeln, ist den meisten Menschen leider nicht bewusst.

Wochenlang vergrabe mich mit meinem Strickzeug auf der Couch und ziehe mich von allem zurück was mit Menschen oder Kommunikation zu tun hat. My Home is my Castle. Ein bisschen Frieden und ganz viel Ruhe! Zum Glück gibt es Streaming Dienste wie Netflix und Co. um die endlos langen Tage zu überstehen. 
Selbst so großartige Ereignisse wie die Lichtinstalltion in der Kölner Innenstadt anlässlich der Gamescom, oder das Wollfestival in Düsseldorf lasse ich an mir vorüber ziehen. Zu viele Menschen! Kein Interesse.


Als der Gatte endlich heim kommt, wirkt er müde und abgekämpft auf mich.
Das Essen in der Klinik war nicht wirklich gut, und vernünftig schlafen konnte er dort auch nicht. In der ersten Nacht im eigenen Bett hat der Gatte sich eingekuschelt und 12 Stunden lang geschlafen! Ich habe in dieser Nacht immer wieder meine Hand zu ihm ausgestreckt, nur um zu spüren dass er wirklich wieder da ist.

Mit der Heimkehr des Gatten muss ich dann zwangsweise wieder unter Menschen. Der Gatte muss zum Arzt, und zur Physio und möchte gerne einfach wieder unter normale Menschen und in seine Stadt gehen können; ist aber leider noch nicht Alltagsfit und braucht Begleitung.
Den Gatten im Rollstuhl zu schieben war schon echt anstrengend. Neben dem vor sich hin schleichenden Gatten am Rollator zu gehen ist jedoch nicht weniger anstrengend. Ständig muss man sich zurück nehmen. Die ersten Tage hatte ich tatsächlich Muskelkater vom permanenten Abbremsen. Es ist wirklich unglaublich anstrengend nicht in sein eigenes individuelles Tempo kommen zu dürfen.
Und ständig muss man auf den Rollator acht geben. Mir wird bewusst dass wir nie wieder so als Paar zusammen werden laufen können wie  wir es früher getan haben. Außerdem ist es verdammt schmerzhaft zu sehen, wie der geliebte Mensch sich  ab müht um irgendwie voran zu kommen.




Wir ärgern uns eine wenig über die Hilfsmittelversorgung, bzw. den Kostenträgern.
In der Rehaklinik waren viele ältere Leute, die von der Krankenkasse mit leichten und modernen Rollatoren versorgt wurden. Der Gatte war jedoch auf Kosten auf der Rentenversicherung dort, und hat lediglich ein Standard Modell bekommen. Zu schwer, zu unhandlich, nicht zusammen klappbar. Ein richtiges Seniorenheim Modell! Und so klobig gestaltet, dass wir es nicht mal im Hausflur abstellen können!  Für ein anderes Gerät hätten wir eine dreistellige Summe zu zahlen müssen.

Der Gatte möchte jedoch unbedingt wieder arbeiten gehen. Und braucht dazu ein leichtes und flexibles Modell, mit dem er selbständig in den Öffis zurecht kommt, welches notfalls auch über eine Rolltreppe geht, und bitte so zusammen gelegt werden kann dass es in einen Kofferraum passt.
Via Ebay haben wir also einen leichten Rollator aus Aluminium gekauft. Für weit unter 100€ in übrigen!
Aus ähnlichen Motiven hatten wir bereits den Rollstuhl seinerzeit über Ebay selbst gekauft. Mein Gerechtigkeitssinn jedoch protestiert seitdem lauthals schreiend.
Zum einen ist es wirklich paradox, zum anderen ärgert es mich einfach maßlos das der Gatte als relativ junger Mensch nicht mit für ihn passenden Hilfsmitteln versorgt wird.
Alte Menschen, die nicht mehr arbeiten gehen, bekommen Gehhilfen die sie für den Alltag nicht unbedingt benötigen. (Es sei ihnen ehrlich gegönnt, die Modernen leichten Geräte sind wirklich toll!) Doch der Gatte, der gerne wieder arbeiten gehen würde, bekommt nur ein unhandliches und schweres Rentner Modell.


Und dann sind da noch die Horrorgeschichten über das Essen in der Klinik.
Frisches Obst oder Rohkost war irgendwie immer zu wenig vorhanden. Dafür gab es dann so nette Geschichten wie Currywurst mit Pommes zum Mittag. In einer Reha Klinik für neurologische und kardiologische Erkrankungen! Nudeln mit Pilzen in Soße, wobei die Pilze aus der Dose kamen und als Soße lediglich der Sud etwas angedickt wurde. Oder Kartoffeln mit Sahnehering, in einer Konsistenz und Stückgröße dass man den Hering regelrecht suchen musste. Absolutes Highlight: Bratwurst, minimal angegart und dann in den Dampfgarer gesteckt. Der Gatte hat sich wirklich oftmals geekelt, und auch so manches Essen stehen lassen.
Und mit solch einer Kost soll man gesund werden können? Dem Körper zur Heilung verhelfen und obendrein bei den täglichen Sport und Therapieeinheiten Höchstleistungen erbringen?
Erwähenswert ist auch dass eben jene Mitarbeiter die solch ein Essen zu verantworten haben die Vorträge über gesunde Ernährung ab halten. Ein Witz ist das das! Aber leider kein guter über den man lachen könnte.

Kurz vor seiner Heimkehr fragte ich den Gatten ob er Wünsche für die erste Wochen hätte.
"Egal was, Hauptsache wieder von Dir!"
Auch eine Art von Liebeserklärung.



Seit wir den passenden Rollator haben, versuchen wir den Gatten Alltagsfit zu bekommen.
Den Umgang mit so einem Ding über unebene Straßen, Bordsteinkanten, in den Öffis und anderen Alltagssituationen lernt man nur indem man sich dem aus setzt.
Wir versuchen derzeit mindestens jeden zweiten Tag zusammen irgendwo hin zu fahren. Und sei nur zum Einkaufen! Natürlich ist das anstrengend und ich  wäre viel schneller, wenn ich das alleine erledigen würde. Aber nur Übung macht den Meister, und er möchte  auch ohne Babysitter wieder hinaus können und unbedingt so schnell wie möglich auch wieder arbeiten gehen.



Am ersten Tag daheim hat der Gatte kaum die paar hundert Meter bis zum Hausarzt geschafft.
Inzwischen sind Bus, Straßenbahn, und S Bahn, kein Problem mehr. Selbst wenn die Haltestelle nicht total ebenerdig angelegt ist. Sogar Rolltreppen und Baustellenschotter stellen kein Hindernis mehr dar.
Der Gatte kommt alleine die Treppe hinunter, bekommt alleine die Haustüre auf und den Rollator hinaus, und außerdem unfallfrei über die Schwelle vom Hausstein auf die Straße hinunter. Er fährt alleine mit dem Bus zu seiner Physio, und ich sterbe derweil auch keine tausend Tode mehr vor Sorge.
Eine liebe Freundin meinte dazu: "Das ist der Unterschied bei euch. Ihr macht was!"

Zuweilen versuche ich uns am Abend für die Mühen des Tages zu belohnen.
Ein Highlight war zum Beispiel dieser selbst gemachter Flammkuchen und die Flasche Federweißer dazu.


Und neulich haben wir es sogar bis zum Ikea geschafft.
Dafür müssen wir mit den Öffis quer durch die Stadt und mehrmals umsteigen. Wir brauchen jetzt länger für diese Tour als früher, weil wir nicht mehr überall so Problemlos umsteigen können. Einige Haltestellen sind für den Gatten leider zum unüberwindbaren Hindernis geworden. Aber wir haben es geschafft. DER GATTE HAT ES GESCHAFFT! Ich bin nur nebenher gelaufen.


Eigentlich wollten wir nur Frühstücken gehen. Das haben wir ziemlich lange nicht mehr gemacht und immerhin braucht man ja ein Ziel vor Augen. Aber auf dem Weg Richtung Ausgang sind uns dann noch Gläser und schicke neue Bettwäsche in den Arm gesprungen. Ich verbuche das mal unter der Kategorie Belohnung und Motivation. Aber auch unter Augenblicke.

2 Kommentare:

  1. Ach je, alles nicht einfach.. Ihr seid so stark geworden.

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  2. Wow, da habt ihr viel gemeistert. Ich wünsche euch beiden, dass es euch bald besser geht. Das mit dem Klinikessen kann ich gut nachvollziehen. Ich war mal in einer Klinik für Rheuma und Psychosomatik. Das Essen wurde von einer Mitpatientin als Schweinefraß bezeichnet und das war noch eine gute Bewertung. Bei Rheuma ist eine ausgewogene und gesunde Ernährung auch extrem wichtig.

    Nur wenige Einrichtungen geben sich mühe mit der Küche.

    Mit den Öffis hier wäre dein Mann nicht weit gekommen. In meiner Stadt am Rhein wurde während der Ferien umgebaut und ein Chaos an Schienenersatzverkehr lief in dieser Zeit. Die Busfahrer haben die Busse teilweise nicht mal abgesenkt, so dass Bewegungseingeschränkte und Kinderwagen nicht gut ein- und aussteigen konnten.

    Ich hoffe für deinen Mann, dass er an Kraft zulegt, damit er seinen Alltag meistert und für dich, dass du dich wieder erden kannst.
    Viele Grüße
    Fiene

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