Sonntag, 19. Juli 2020

Tausend Masken und eine Ehrung

Als ich Mitte März damit begann Atemschutzmasken zu nähen, hätte ich nie im Leben erwartet wie sich die Sache in nächsten Wochen noch entwickeln würde. Hätte ich es geahnt, hätte ich es wahrscheinlich nicht öffentlich gemacht sondern einfach nur still vor mich hin genäht.


Schon in der ersten Woche wurde ich gefühlt hundert tausende Male darüber belehrt dass eine selbst genähte Schutzmaske ja gar nicht schützt. Also, zumindest nicht mich. Und das Tragen von diesen selbst genähten Masken daher total überflüssig und sinnbefreit ist.
Mir wurde suggeriert dass ich mit dem Tragen der Maske die nötige Handhygene vernachlässigen, oder den Mindestabstand nicht mehr einhalten werde, und daher mein persönliches Risiko einer Infektion eher noch steigen würde. Ich solle doch besser einfach nur zu Hause bleiben.
Meine Argumente, dass ich leider hin und wieder einkaufen gehen muss oder dass der Gatte jeden Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit muss, wurden schlichtweg ignoriert. Ebenso meine Einwürfe dass EINE Maske besser ist als KEINE Maske, weil auch eine Maske die nicht hundertprozentig schützt immer noch die Virenlast der ich ausgesetzt bin erheblich senken kann.

Noch bevor ich meine ersten 50 Masken für Familie, Freunde und Nachbarn fertig hatte wurde das Thema sehr breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Es gab etliche hochrangige Ärzte die sich für das Tragen von Masken im öffentlichen Raum ausgesprochen haben. Irgendwann revidierte dann sogar das Robert Koch Institut die ursprünglichen Aussagen und gab ebenfalls eine Empfehlung für das Tragen von Masken heraus.
Damit war ich plötzlich im sogenannten "Mainstream"!
Von einigen Menschen wurde ich sogar in die Schubladen "Hysterie" und "Panikmache" gesteckt.
Wenn ich eines nicht bin, dann ein Mensch der im Mainstream schwimmt oder sich jeden Trend einfach so unterwirft. Fakt ist, dass ich mich bereits in den ersten Tages das Shutdowns mit dem Thema Masken beschäftigt habe, die Entwicklungen und Diskussionen aber dermaßen rasant vonstatten gingen dass mich das Thema schlicht eingeholt hat.

Ungehindert jeglicher Diskussionen habe ich trotzdem einfach weiter genäht. Denn der Bedarf an Masken war vorhanden.


Noch bevor ich meinen zweiten Schwung Masken fertig hatte entbrannte vor allem in den sozialen Medien eine Diskussion über die Schutzmasken, bei der jeder vernünftig denkende Mensch nur noch fassungslos mit dem Kopf schütteln konnte.

Es gab die Befürworter, welche ins Feld führten dass Masken sehr wohl schützen würden wenn nur genug Menschen eine tragen würden. Und es gab die Kritiker, welche vor angeblichen Gesundheitsgefahren durch das Tragen von Masken warnten. Es wurde vor einer Kohlendioxidrückatmung gewarnt. Oder vor einer Lungenentzündung, aufgrund der sich zurück staunenden Feuchtigkeit der Atemluft. Außerdem würden die Infektionszahlen mit dem Tragen von Masken ganz bestimmt ins unendliche steigen, weil man die Erreger nicht mehr ausatmen sondern wieder einatmen würde und die Dinger noch dazu die reinsten Keimschleudern wären.

Aus meiner Sicht Diskussionen und Behauptungen die nicht nur jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren, sondern eigentlich auch jeden denkenden Menschen sofort stutzig werden lassen sollten.
Kohlenstoffdioxid Rückatmung? Lungenentzündung durch das Tragen einer Maske? Dann müssten doch sämtliche Ärzte und Pflegepersonal dauerhaft krank sein oder in Ohnmacht fallen. Und wie überleben das die Menschen in Asien, wo Maske tragen ja zum guten Ton gehört, eigentlich? 
Keimschleudern? Zum einen kann man sich nicht mit etwas infizieren was man selbst ausatmet. Damit ist man schon infiziert und für den Körper macht das keinen Unterschied mehr. Und ich gehe jede Wette ein, würde man Abklatschproben von getragenen Masken und Smartphones nehmen, dass die Keimbelastung auf dem Smartphone um ein vielfaches höher liegen dürfte.

Aber diskutiert mal mit Menschen die solch einen Unsinn glauben über wissenschaftliche Fakten. Eher geht die Sonne im Westen auf, als dass diese Menschen Einsicht zeigen würden.


Während ich so an den ersten hundert Masken genäht habe, habe ich feststellen können dass diese Tätigkeit einen überraschend positiven Effekt auf mich hat. Ich war beschäftigt. Über Stunden und Tage hinweg. Habe mich nie wirklich eingesperrt oder eingeschränkt gefühlt. Ich hatte keine Zeit mich von Miesepetern in den sozialen Medien runter ziehen zu lassen. Und während sehr viele leider dafür anfällige Menschen recht unter bald psychischen Problemen litten, ging es mir nach wie vor super. Denn ich hatte ja eine Aufgabe. 

Deshalb hatte ich mir recht bald vorgenommen, dass ich für irgendein soziales Projekt nähen wollte, sobald ich alle Menschen in meinem nahen Umfeld mit Masken versorgt hätte.  So ziemlich das erste was mir nach meinem persönlichen Umfeld wichtig ist, ist zweifelsohne das ⇨ Anyway. Also nähte ich zunächst Masken für das Anyway. 


Über fünfzig bunt gemischte Masken habe ich an das Anyway übergeben.
Keinen Tag zu früh. Denn schon am nächsten Tag wurde (endlich) die flächendeckende Maskenpflicht beim Kontakt mit anderen Menschen erlassen. Allem voran also im ÖPNV, beim Einkaufen, und bei Kundenkontakt jeglicher Art.


Obwohl ich meine Masken ursprünglich nicht verkauft habe, wollten sich immer mehr Menschen zumindest erkenntlich zeigen. So auch die Mitarbeiter des Anyway.
Da saß ich nun mit Geld, welches ich eigentlich nie wollte, und überlegte was man sinnvolles damit machen könnte. Stoff kaufen, weitere Masken nähen und irgendwohin spenden! Aber wohin? Ich wollte sinnvoll spenden. Wohin wo diese Masken wirklich gebraucht und wertgeschätzt werden. An eine Organisation die vielleicht etwas weniger im Licht der Öffentlichkeit steht und daher Probleme mit der Beschaffung haben könnte. Und vielleicht irgendwas lokales. 
Der gedankliche Weg vom queeren Jugendtreff zur ⇨ Aidshilfe Köln war ehrlich gesagt nicht sehr weit. Also nahm ich Kontakt auf und fragte ob Interesse besteht. Dort hat man sich über mein Angebot gefreut. Sehr sogar! 

Weil ich zeitgleich immer mehr Anfragen für meine Masken erhielt, beschloss ich bei Facebook und Instagram darüber zu berichten dass ich für die Aidshilfe nähen wollte und bot meine Masken erstmals gegen eine Spende an. Innerhalb von nur 24 Stunden sind mehrere hundert Euro zusammen gekommen. Eine Summe für die ich geschätzt sogar einige Monate lang Masken nähen könnte. 
(Auch hier noch einmal ein dickes fettes DANKESCHÖN dafür! Ich bin immer noch total geflasht!)

So suchte ich also Stoffhändler die in diesen bewegten Zeiten auch kurzfristig liefern konnten, und stieß auf die wirklich liebe und zuvorkommende Frau Bott von ⇨ Ariane B Handmade. Sie war so nett mir Sonderkonditionen zu gewähren und hat außerdem noch 50 von ihr genähte Masken als Spende für die Aidshilfe mit ins Paket gelegt.


Über eine Instagram Werbung bin ich außerdem noch auf ⇨ Unistoffen aufmerksam geworden. Einen Stoffhändler aus Holland, welcher sein Geschäft momentan komplett auf Online Handel umgestellt hat. Bekommen habe ich tolle und farbenstarke Stoffe, die auch noch sehr günstig waren. Auch die Lieferzeit war absolut akzeptabel. Leider aber war über die Hälfte die Stoffe so krumm geschnitten worden, dass es echt schwierig war rechteckige Zuschnitte für Masken daraus zu bekommen ohne dabei zu viel Verschnitt zu produzieren. Echt Schade!


Eine richtig tolle, aber auch angenehm dezente kleine Kollektion an Masken ist daraus entstanden.


Zusammen mit den 50 gespendeten Masken von der lieben Frau Bott habe ich bei meinem ersten Termin bei der Aidshilfe Köln 120 Masken an Erik Sauer in übergeben können. Dort hat man sich sehr über die Spende gefreut denn zum einen waren Masken zu diesem Zeitraum nicht nur unglaublich teuer und schwer zu beschaffen geworden, zum anderen kämpfte man ebenso wie das Anyway mit Einnahmeausfällen aufgrund der Schließung und ausfallenden Benefiz Veranstaltungen. 


Noch während ich begonnen hatte für die Aidshilfe zu nähen, hatte ich mich ebenfalls bei den Johannitern als ehrenamtliche Näherin registriert und ein kostenloses Materialpaket enthalten. Leider hat es mir nicht viel Freude bereitet. 


Die Anleitung an die man sich zu halten hatte enthielt aus meiner Sicht einige völlig überflüssige Arbeitsschritte. Farbe und Qualität des Stoffes waren zudem so überhaupt nicht meins. Aber bei nur 20 Masken die daraus entstehen sollten würde ich das wohl überleben. 
Ich muss gestehen dass ich es echt eine Weile vor mir hergeschoben hatte, weil es mir so wenig Freude bereitet hat. Aber letztlich haben auch die Johanniter ihre Masken von mir erhalten. Leider habe ich danach nie wieder etwas aus dieser Richtung gehört. Nicht mal eine kurze Mail mit Dankeschön oder Masken angekommen. 


Durch eine Facebook Werbung stieß ich zwischenzeitlich auf ⇨ Kleine Könige, welche speziell für Masken Näherinnen das Angebot eines Überraschungspakets zum Sonderpreis online gestellt hatten. Ich orderte zwei Pakete und bat um eine bunte Mischung, gerne mit ein paar Uni Farben dazwischen. Bekommen habe ich diese tollen bunten Stoffe, welche auch noch eine hervorragende Qualität haben. Damit hat das Nähen dann wieder deutlich mehr Spaß gemacht. 


Auch Unistoffe hat von mir noch einmal eine Chance bekommen und ich habe ein weiters mal dort bestellt. Und siehe da, bei der zweiten Lieferung waren fast alle Stoffe gerade geschnitten. 
Leider aber fehlte ein Stoff, der zwischenzeitlich nicht mehr lieferbar war. Das wurde zwar auf dem Lieferschein vermerkt, aber offenbar nicht an die Buchhaltung gemeldet. Jedenfalls musste ich dann meine Rechnung samt der handgeschriebenen Notiz darauf einscannen und per E-Mail einreichen um eine entsprechende Gutschrift zu erhalten. Fand ich jetzt auch nicht unbedingt optimal. 


Als erstes bestellt, aber als letztes geliefert, hat dann irgendwann auch ⇨ Buttinette. Nach einer Lieferzeit von satten drei Wochen! Und weil Buttinette nicht nur Stoff sondern auch Wolle und alles mögliche andere im Sortiment hat, durften noch zwei Knäuel Sockenwolle, diverse Nadeln und ein neues Nadelkissen mitreisen. 


Wieder ist eine tolle aber feine kleine Kollektion aus den Stoffen entstanden. 


Und die Aidshilfe hat weitere 130 Masken von mir erhalten. 


Tatsächlich genäht habe ich aus diesen Stoffen allerdings viel viel mehr Masken. Denn immer noch erhielt ich Anfragen und habe Masken gegen Spenden abgegeben, wodurch sich mein Budget nochmals vergrößert hat. 
Außerdem habe ich immer wieder Masken abgezweigt, um sie all den Menschen der verschiedenen Lieferdienste schenken zu können. Egal ob DHL, GLS, DPD, Rewe Lieferservice, Pizza Taxi oder einfach nur der Postbote. Jeder der mir etwas zu liefern hatte, hat als Dankeschön eine Maske bekommen. Und alle haben mich angestrahlt als wäre ich der Weihnachtsmann! 


Als sich meine Stoffvorräte langsam den Ende neigten, ich aber immer noch ein wenig Budget übrig hatte, habe ich noch ein weiteres mal bei Buttinette bestellt. Auch diese Stoffe sind inzwischen gänzlich zu Zuschnitten verarbeitet worden. Allerdings habe ich vergessen die daraus entstandene Kollektion noch einmal gezielt ins Szene zu setzen. 


Aufgrund von einigen Querelen im Schulischen und Privaten Bereich bin ich leider nicht mehr so schnell voran gekommen wie ich mir das vorgestellt habe. Trotz allem waren nach ein paar weiteren Wochen gleich zwei Kisten voll mit Masken. So dass ich dieses mal gleich 150 Masken an die Aidshilfe übergeben konnte. 
Insgesamt habe ich zu diesem Zeitpunkt bereits über 800 Masken genäht. 


Die Aidshilfe hat derweil die Aktion ⇨ "Die Brosche" ins Leben gerufen um sich bei Menschen zu bedanken die während der Corona Zeit tatkräftig Menschen in der Community auf besondere Weise unterstützt haben. 
Als ich die letzte Lieferung mit den 150 Masken übergeben habe wurde auch mir die Ehre der Brosche zuteil. 

Es ist einfach nur ein tolles Gefühl wenn man für seinen persönlichen Einsatz solch eine schöne Ehrung erhält. Die Brosche ist wunderschön! Natürlich mit einem Regenbogen versehen und glitzern tut sie auch noch. Außerdem war sie wirklich hübsch verpackt und es gab eine Urkunde dazu. 
Auf der Homepage der Aidshilfe werde ich nun in einem Atemzug mit Persönlichkeiten wie Sven Lehmann oder Ralph König genannt, welche ebenfalls eine Brosche für ihren Einsatz für die Community erhalten haben. Was mir ja fast schon ein bißchen unangenehm ist. Ich kann mit so viel öffentlicher Aufmerksamkeit leider nur sehr schlecht umgehen. 


Ich hatte vor Corona ehrlich gesagt keinerlei persönlichen Bezug zur Aidshilfe Köln. Aber die Aidshilfe ist mir eben ein Begriff, weil ich ein queeres Kind und HIV positive Menschen in meinem Freundeskreis habe. Was mich jedoch sehr fasziniert hat war der offene und herzliche Umgang der mir bei der Aidshilfe stets zuteil wurde. Die Menschen bei der Aidshilfe interessiert es nicht welch ein Geschlecht man hat oder wie man orientiert ist. Dort ist man einfach nur Mensch! 
Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich dieses derzeit wohl einfach verstärkt wahr nehme. Immerhin bin ich mir erst seit kurzem meiner Selbst bewusst. Aber mir wurde bei jedem Besuch in der Aidshilfe auch so überdeutlich klar warum ich mich unter Menschen immer so schnell unwohl fühle. Einfach weil mir dieses unangenehme Gefühl bei den Menschen der Aidshilfe so völlig fehlte. Selbst wenn ich mit Menschen sprach denen ich nie zuvor begegnet bin, ich wurde immerzu so behandelt als würde ich schon seit Jahren zur Familie gehören. 


Aktuell bin ich übrigens dabei die letzten 150 Zuschnitte zu Masken zu vernähen. Wenn ich diesen Stapel dann weg habe, habe ich annähernd 1000 Masken genäht. Und ganz ehrlich, so langsam kann ich die Dinger echt nicht mehr sehen! 

Bei der Aidshilfe versicherte man mir dass der Bedarf an Masken inzwischen weitestgehend gedeckt werden konnte und ich mir somit ruhig Zeit lassen könnte. Aber diesen letzten Stapel werde ich dennoch in den nächten Wochen abarbeiten und ausliefern. Schon alleine weil dieser Stoff noch aus dem Spendenbudet finanziert worden ist und somit auch seinem Zweck dienen soll. 
Außerdem, wer weiß schon wie lange wir mit den Masken noch leben müssen? Eine zweite Welle im Herbst ist insbesondere nach den Exzessen auf Mallorca und anderen Urlaubshotspots leider nicht gänzlich auszuschließen. Und ein Impfstoff ist leider auch noch nicht in Sicht. 




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