Dienstag, 16. April 2019

Das soziale Experiment

Unser Teenager ist ein Kämpfer Herz.
Und er setzt sich wo immer es ihm möglich ist für LGBTI Rechte ein.
Grundsätzlich lassen wir ihn auch machen. Jede Aktion, und jedes Projekt an dem er teilnimmt stellt ein Stück Lebenserfahrung dar. Macht ihn ein Stückchen selbstbewusster, und trägt dazu bei dass er seinen Platz im Leben finden wird. Allerdings legen wir Wert darauf mit dem Teenager über jede geplante Aktion zu reden. Damit er sich bewusst ist, was eine Aktion alles nach sich ziehen könnte. Immerhin zieht so manches Projekt an dem er beteiligt ist auch eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich.

Im Herbst letzten Jahrs bat uns der Teenager um Erlaubnis, an einem Sozialen Experiment teil nehmen zu dürfen.
Basierend auf der Idee des "Free Hugs" wollte sich das Team des Anyway TV in der Kölner Innenstadt mit Schildern wie "Ich bin Lesbisch....... Schwul...... Trans.......  HIV-postiv. Umarmst Du mich?" positionieren und die Reaktionen mit versteckter Kamera filmen.
Jeder Teilnehmer durfte sein Thema frei wählen, und war dabei nicht etwa an die persönlichen Lebensverhältnisse gebunden. Und unser Teenager hat den Mut aufgebracht das Thema HIV zu verkörpern.

Was zunächst nur durch das ⇨ Anyway TV via YouTube publiziert wurde, wurde zu unserem Erstaunen kurze Zeit später sowohl vom ⇨ Kölner Express als auch vom ⇨ Kölner Stadtanzeiger aufgegriffen.


Ich möchte noch einmal ganz deutlich darauf hinweisen:
Der Teenager hat natürlich KEIN HIV. Und er heißt auch nicht Marvin, oder ist 17.
Marvin wurde als Synonym gegenüber der Presse gewählt um ihn zu schützen.

Der reißerische Titel im Express sagt mir aus mehreren Gründen nicht unbedingt zu.
Unter anderem, weil eine solche Formulierung zu sehr die (nicht existierende) HIV Infektion fokussiert. Aber immerhin erschien der Titel auf Seite 3, während die Dramen um den Tod des Modeschöpfers Karl Lagerfeld nur auf Seite 4 waren. Außerdem wurde im Artikel ausdrücklich darauf hin gewiesen dass eben keine Infektion vor liegt.


Auch wenn der Teenager nicht aktiv zu erkennen ist, so hat die Berichtserstattung doch für einiges Aufsehen gesorgt. Der betreuende Leiter des Projekts fragte dann auch bei uns nach, ob alles in Ordnung sei. Oder ob jemand aus der Schule den Teenager eventuell erkannt und angesprochen hatte.
Der Teenager berichtete wir Eltern würden ihn zwar ein wenig damit ärgern, dass wir ihn nun ständig mit "Marvin" ansprechen würden, ansonsten wäre aber alles in Ordnung.
Und dann kam die Frage, ob der Teenager an einem Dreh mit dem WDR teilnehmen dürfte. Man wollte das Thema für die Lokalzeit aufnehmen und den Dreh in der Innenstadt dafür nachstellen.


So zog also das Team vom Anyway TV Ende Februar zusammen mit einem Team des WDR noch einmal in die Innenstadt. Der Teenager bekam wieder sein Schild um den Hals. Die Kameras wurden ausgerichtet, und dann hieß es warten.


Warten auf die Reaktion der Passanten.
Dann den Passanten schnell hinterher laufen, und dazu überreden ein kurzes Statement für den WDR ab zu geben warum man den Teenager umarmt habe, oder auch warum nicht.
Von "Warum sollte ich den jungen Mann nicht umarmen, es ist ja nicht direkt ansteckend" bis hin zu "Warum soll ich den umarmen, ich kenn den ja nicht" war eigentlich alles dabei.


Der Bericht wurde dann am 23.Februar in der WDR Lokalzeit Köln ausgestrahlt.
Zu unserem Erstaunen gleich zu Anfang, als zweites Thema, und hat auch erstaunlich viel Sendezeit bekommen. Ebenso war ein Herr der Aidshilfe zum Gespräch als Studiogast anwesend, und es wurde viel über die Übertragungswege, Therapiemöglichkeiten, und warum man unter Therapie nicht mehr akut ansteckend ist geredet. Aufklärung, die dringend nötig ist, und ich habe mich ehrlich gefreut dass der WDR mit seiner Reichweite dem Thema HIV so viel Zeit und Aufmerksamkeit hat zukommen lassen.
Leider war der Beitrag nur knapp eine Woche lang in der Mediathek verfügbar, und ich bin zeitlich so schnell nicht hinterher gekommen, so dass ich euch leider keinen Link zur Sendung reichen kann.


Wir haben in der Familie lange darüber diskutiert und überlegt, ob ich das Soziale Experiment wirklich in meinem Blog zeigen soll oder nicht. Immerhin wurde bei der gesamten Durchführung viel Wert auf Anonymität gelegt.
Unser Teenager wäre nicht der erste Mensch, dem eine HIV Infektion unterstellt wird nur weil er sich   an einer öffentlichen Aktion zum Thema beteiligt hat. Und natürlich ist diese Anonymität hinfällig, wenn ich als seine Mutter in meinem Weblog darüber berichte.

Wir denken aber auch, dass sein Mut und sein Engagement gewürdigt werden sollte.
Wir finden, der Teenager sollte sich für seinen Mut sich mit einer solchen Aussage in die Öffentlichkeit zu begeben nicht verstecken müssen.
Und wir finden, dass wir die momentane Aufmerksamkeit nutzen sollten, um die Kernaussage der Aktion weiter zu unterstützen: Du bist kein schlechter Mensch, weil Du LGBTI bist oder dich mit HIV infiziert hast!

Grundsätzlich kann man noch dazu nie genug über HIV reden.
Die meisten LGBTIs sind zwar inzwischen weitestgehend aufgeklärt, doch bei vielen Heteros besteht  bestenfalls Halbwissen. Wer keinen Anlass dazu hat, setzt sich mit dem Thema nicht wirklich auseinander. Immerhin ist es eine "Schwulenkrankheit"!
Viele Heteros kennen nicht einmal den Unterschied von HIV und Aids. Und so wissen die meisten Heteros auch nicht, dass es zunächst einmal eine bestimmte Anzahl an Erregern bedarf um sich überhaupt infizieren zu können. Ist diese Erregerzahl nicht ausreichend hoch, kann man sich selbst dann nicht infiziren, wenn man direkten Kontakt mit HIV infiziertem Blut hat. Genau hier setzen auch die modernden HIV Therapien an. Zwar ist HIV immer noch nicht heilbar, aber durch neue Kombinationspräperate welche in den letzten Jahren frei gegeben wurden, lässt sich die Erregerzahl im Blut fast nicht mehr nachweisen, und damit kann auch keine Übertragung mehr statt finden.

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